Das Realisationsprinzip folgt direkt aus dem übergeordneten Prinzip der kaufmännischen Vorsicht. Dies ist einer der wichtigsten Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, der besagt, dass ein ordentlicher Kaufmann sein Vermögen vorsichtig zu bewerten hat. Das heißt Gewinne werden erst dann gezeigt, wenn sie tatsächlich entstanden sind (Realisationsprinzip), Verluste müssen jedoch antizipiert werden (Niederstwertprinzip und Imparitätsprinzip).
Gesetzlich kodifiziert ist das Realisationprinzip im Handelsgesetzbuch (HGB) in § 252 Abs. 1 Nr. 4, letzter Halbsatz: "Gewinne sind nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind."
Erst wenn der Umsatz erfolgreich getätigt worden ist, gilt ein Gewinn als
realisiert. Dies ist bei Lieferungen in der Regel dann der Fall, nachdem der
Gefahrenübergang auf den Käufer stattgefunden hat. Ist die Bezahlung am
Bilanzstichtag noch nicht erfolgt, wird eine Forderung ausgewiesen.
Für die Aktiva der Bilanz folgt aus dem Realisationsprinzip unmittelbar, dass
die Obergrenze der Bewertung immer die Anschaffungs- oder Herstellungskosten
sind. Selbst wenn die Vermögensgegenstände am Bilanzstichtag einen höheren Wert
haben sollten, muss diese Wertsteigerung unberücksichtigt bleiben. Der
Wertzuwachs ist nicht realisiert, dies geschieht erst durch Veräußerung. Hält
ein Unternehmen zum Beispiel Aktien, deren Kurs seit ihrem Erwerb stark
angestiegen ist, dürfen sie dennoch lediglich mit den historischen
Anschaffungskosten bewertet werden. Durch die Beachtung des Realisationsprinzips
kommt es so regelmäßig zum Entstehen von hohen stillen Reserven, die nicht in
der Bilanz ausgewiesen sind.
Auch bei der Bewertung von unfertigen Erzeugnissen oder Leistungen dürfen keine
unrealisierten Gewinne ausgewiesen werden, so dass lediglich die im Unternehmen
bei der Herstellung angefallenen Einzel- und Gemeinkosten angesetzt werden
können. Erst wenn die Lieferungen und Leistungen vollständig erbracht und vom
Kunden abgenommen wurden, ist der Gewinn realisiert und auszuweisen.
Das Realisationsprinzip in oben dargestellter Form gilt so nicht im angelsächsischen Bereich. Im deutschen HGB hat der Gläubigerschutz oberste Priorität: Durch vorsichtige Bewertung soll verhindert werden, dass ein Unternehmen sich reicher darstellt, als es tatsächlich ist. So können Kreditgeber und Lieferanten darauf vertrauen, dass das Vermögen in der Bilanz ihres Geschäftspartners nur in der Höhe ausgewiesen wird, in der es bei einer Liquidation auch wirklich (mindestens) zur Verfügung stünde.
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